patroneDarf man alles denken und wenn ja, darf man es auch aussprechen? Vielleicht erscheint Ihnen diese Frage ein wenig seltsam, denn immerhin gehört es zum alten deutschen Kulturgut, aus voller Brust „Die Gedanken sind frei!“ zu singen. Aber so einfach ist es manchmal eben doch nicht.

 

 

Schon im Talmud sind diese weisen Worte zu finden

Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.

und die menschliche Geschichte zeigt, wie zutreffend sie sind. Andererseits lassen sich Gedanken, einmal gedacht, nicht mehr einfach so zur Seite schieben. Schön wäre es ja, aber manche von ihnen sind hinterhältig, lauern tief im Unterbewussten verborgen, um bei passender Gelegenheit immer mal wieder an die Oberfläche zu blubbern.

Ich gehöre zur Generation der massenhaften Kriegsdienstverweigerungen und habe aus meiner Anhörung vor Jahrzehnten immer noch gut in Erinnerung, mit welchen spitzfindigen Fragen ein pazifistischer Frömmling, so wie ich es damals war, von den „Gewissensprüfern“ konfrontiert wurde. „Stellen Sie sich vor, Sie bedienen eine Flugabwehrkanone. Sie haben ein Flugzeug im Visier, von dem Sie genau wissen, dass seine Besatzung in wenigen Minuten eine todbringende Bombe auf eine große Stadt abwerfen wird. Schießen Sie das Flugzeug ab, um vielleicht Tausenden in dieser Stadt das Leben zu retten, obwohl Sie dabei den Tod der Flugzeugbesatzung in Kauf nehmen müssten?“

Solche Gedankenspiele wurden in den damaligen Prüfverfahren zuhauf konstruiert mit dem vorgeblichen Ziel, die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung des Prüflings auszuloten. Ferdinand von Schirach hat eine solche Fragestellung erst aktuell in seinem Theaterstück „Terror“ thematisiert. Eine Mehrheit der Zuschauer entschied sich übrigens dafür, die Rechnung Hundert gegen Zehntausend als legitim anzusehen und votierte für die Auslöschung der Terroristen. Man darf gespannt sein, wie in Kürze die deutschen Fernsehzuschauer darüber urteilen werden.

Im Laufe der Jahre habe ich mich immer mal wieder mit diesem Thema beschäftigt, nicht zuletzt durch mein Interesse am Leben und den Gedanken Dietrich Bonhoeffers. Als Christ hat Bonhoeffer sich die Entscheidung den Widerstand gegen Hitler aktiv zu unterstützen, nicht leicht gemacht. Obwohl er sich in absoluter Bindung an christliche Gebote und Werte sah, hat er folgenden Gedanken formuliert:

Der Mensch der Verantwortung, der zwischen Bindung und Freiheit steht, der als Gebundener in Freiheit zu handeln wagen muss, findet seine Rechtfertigung weder in seiner Bindung, noch in seiner Freiheit, sondern allein in dem, der ihn in diese – menschlich unmögliche – Situation gestellt hat und die Tat von ihm fordert. Der Verantwortliche liefert sich selbst und seine Tat Gott aus.

An anderer Stelle ergänzt er:

In konkreter Verantwortung handeln heißt, in Freiheit handeln, ohne Rückendeckung durch Menschen oder Prinzipien selbst entscheiden, handeln und für die Folgen des Handelns einstehen.

Und:

Freie Verantwortung beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht.

Folge ich der Überzeugung Bonhoeffers, bedeutet das für mich als Christ, dass in Grenzsituationen Gedanken, auch wenn sie konträr zu christlicher Ethik stehen, nicht nur gedacht, sondern manchmal auch in die Tat umgesetzt werden dürfen. Vielleicht sogar sollen?

Wenn Sie mir bis hierhin gefolgt sind, werden Sie sich vielleicht fragen, wohin diese Überlegungen eigentlich gehen sollen. Eine gute Frage – ich gestehe, ich schweife ein wenig zu sehr ab.

Es geht mir, wie so vielen in unserem Land heute, um die Flüchtlingsproblematik. Nicht um das, was Sie nun vielleicht erwarten. Ich bin immer noch und weiterhin der Ansicht „Wir schaffen das!“, wenn wir nur wollen. Mit gutem Willen und einer Menge Geld, die sinnvolle Integrationsmaßnahmen nunmal kosten werden, lässt sich der Flüchtlingsansturm nicht nur bewältigen, sondern am Ende sogar in einen Vorteil für unsere Gesellschaft wandeln.

Ich kenne in meinem persönlichen Umfeld niemanden, den das Schicksal notleidender Menschen, die Angst derer, die sich mit Mühe vor dem Bombenhagel oder dem Hungertod und der Hoffnungslosigkeit in ihrer Heimat retten konnten, ungerührt lässt. Angesichts dieser menschlichen Schicksale, angesichts der Rücksichtslosigkeit mit dem aus Macht- und Einflussdenken heraus Millionen Menschen grausam in die Flucht getrieben werden, scheint es schon fast unanständig, sich über Kosten und Finanzierung des Lebensunterhaltes von Flüchtlingen Gedanken zu machen. Dennoch muss auch darüber nachgedacht werden. Wer nicht all zu sehr unter Vergesslichkeit leidet, wird sich bestimmt daran erinnern, dass im letzten Dezember dem Welternährungsprogramm der UN die Mittel knapp wurden. Die Lebensmittelgutscheine für syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern mussten gekürzt werden. Empörung machte sich breit, deren Energie allerdings überwiegend in Sonntagsreden und besorgte Artikel floss. In der ZEIT wurde ganz treffend der nachfolgende Ablauf geschildert:

Dann kam die Erkenntnis: Wer will, dass die Not leidenden Menschen nicht nach Europa weiterziehen, sondern im Libanon und in Jordanien, in der Türkei, im Irak und in Ägypten bleiben, der muss ihnen dort ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.

Das kostet Geld. Nach Schätzungen der UN müssen Regierungen, staatliche und nicht staatliche Organisationen dafür allein in diesem Jahr 5,78 Milliarden Dollar aufbringen. 4,54 Milliarden haben 70 Staaten im Februar auf einer Geberkonferenz in London zugesagt, bislang ist allerdings nur knapp die Hälfte davon auf den Konten der Hilfsorganisationen eingegangen.“

Die Unterbringung und Versorgung der Millionen Flüchtlinge allein in den Nachbarländern Syriens wird also in einem Jahr 5,78 Milliarden Dollar kosten. Ein Betrag, der nicht einmal vollständig zugesagt, geschweige denn von der Gebergemeinschaft auch eingezahlt wurde. Der Schreiber des Artikels in der Zeit kommt am Schluss zu dem logischen Ergebnis:


Die Finanzierung hinkt weit hinterher.Fließt das versprochene Geld nicht bald, werden sich etliche Flüchtlinge in ihrer Not wieder auf den Weg nach Europa machen.

Fast 6 Milliarden Dollar, ein Betrag, den sich jemand wie ich kaum vorstellen kann. Ein Betrag, der lediglich die Kosten für ein Jahr abdecken wird. Natürlich – ich denke, das muss ich nicht extra betonen – können Menschenleben nicht gegen Geld aufgerechnet werden und nichts liegt mir ferner, als in das große Lamento einzufallen, das man allenthalben vor allem von denen hört, die zuvor an Waffenexporten Milliarden verdient haben. Angesichts dieser Mammutaufgabe und der notwendigen Ausgaben muss ich allerdings gestehen, dass man vielleicht mit einer lächerlich kleinen Investition diese Situation hätte vermeiden können oder sie vielleicht sogar immer noch in eine andere Richtung lenken könnte. Eine Richtung, die allen Flüchtlingen und allen, die wegen der Finanzierung des Unterhalts dieser Flüchtlinge nun eine krause Stirn bekommen, sehr entgegengekommen wäre, bzw. entgegenkommen würde.

Die Investition liegt ungefähr bei 4 Euro. Soviel kostet, meinen laienhaften Recherchen zufolge, eine Patrone für das M40A3 Präzisionsgewehr. Der Einsatz einer Drohne wäre zwar mit höheren Kosten verbunden und vielleicht sogar noch erfolgversprechender als der Scharfschützenschuss auf den syrischen Machthaber Assad. Wie auch immer, 4 Euro, oder besser noch 8 Euro, wenn man den russischen Kumpel Assads auch berücksichtigen will, stehen in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den diese Wahnsinnigen anrichten und den Kosten, für die nun die Weltgemeinschaft aufkommen muss. Und zwar Jahr für Jahr und das auf sehr lange Sicht!

Darf man so denken? Ist es absolut verwerflich, über eine solche Lösung nachzudenken? Wie kann ich als Christ, oder wenn wir es tiefer hängen, als Bürger der Bundesrepublik Deutschland, deren Grundgesetz diese Erwägungen ausschließt, solche Gedanken rechtfertigen? Habe ich mich vielleicht sogar in meinem Denken der Haltung derer angepasst, gegen die ich aufbegehre und deren Verhalten ich als eines der größten Verbrechen unserer Zeit ansehe?
Oder besteht nicht, angesichts des millionenfachen Leids und der Folgen daraus, sogar die Pflicht darüber nachzudenken, ob solche Verbrecher nicht kurzerhand und für immer gestoppt werden müssten?

Ich weiß es nicht, wie ich denken und mich verhalten würde, wenn ich die Möglichkeit und Gelegenheit für einen solchen Schritt hätte. Ich weiß nur, dass ich mir immer öfter wünschte, dass jemand schon viel früher diesen Gedanken gehegt und in die Tat umgesetzt hätte. Das Gefühl der Hilflosigkeit und des Zorns sind der Ursprung dieser Gedanken.

Können Sie das verstehen, selbst wenn Sie es verurteilen?

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